Zusammenfassung
Die primär biliäre Cholangitis (PBC, früher: primär biliäre Zirrhose) ist eine chronisch-entzündliche Lebererkrankung mutmaßlich immunologischer Genese, bei der es zu einer nicht-eitrigen granulomatösen Entzündung der kleinen intrahepatischen Gallenwege kommt.
Betroffen sind vorrangig Frauen (bis zu 90%), die Erstdiagnose wird häufig im 5. Lebensjahrzehnt gestellt. Während die Erkrankung im Initialstadium asymptomatisch bleiben kann, treten im Verlauf i.d.R. unspezifische Allgemeinsymptome auf (u.a. Fatigue, Pruritus, Sicca-Symptomatik). Mit Fortschreiten der PBC kommt es zu einer zunehmenden Leberfibrose und schließlich -zirrhose, die von Cholestase- (bspw. Ikterus) und Zirrhosezeichen (bspw. portale Hypertension) begleitet wird.
Diagnostisch lassen sich meist erhöhte Cholestaseparameter (insb. alkalische Phosphatase), antimitochondriale Antikörper (AMA) und/oder die typische Histologie (nicht-eitrige, destruierende Cholangitis) nachweisen.
Eine kausale Therapie existiert nicht. Die Standardtherapie ist eine lebenslange Gabe von Ursodeoxycholsäure, alternativ können PPAR-Agonisten wie Bezafibrat verabreicht werden. Entscheidend ist auch das gezielte Management extrahepatischer Beschwerden (bspw. Pruritus, Arthralgien). Ultima Ratio ist die Lebertransplantation.
Definition
- Chronische, nicht-eitrige, granulomatöse, destruierende Entzündung der kleinen Gallenwege mutmaßlich autoimmuner Genese
Epidemiologie
- Geschlecht: ♀ > ♂ (ca. 9:1)
- Alter: Erkrankungsgipfel um das 50. Lebensjahr
- Prävalenz: Zwischen 2 und 40/100.000 Einwohner
- Inzidenz: 1–2/100.000 Einwohner jährlich in Europa
- Lokale Häufungen: I.d.R. unklare Ursache, die Inzidenz ist unabhängig von der ethnischen Zugehörigkeit
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Genese: Unklar
- Mutmaßlich autoimmunes Geschehen
- Ggf. hormonelle, genetische, virale Auslöser sowie Umweltfaktoren
Symptomatik
Frühstadium
- Pruritus (20–70%)
- Häufig unspezifische Symptome
- Müdigkeit und Abgeschlagenheit („Fatigue“)
- Oberbauchbeschwerden
- Arthralgien
- Häufig asymptomatisch
Spätstadium
- Klinik der Leberzirrhose (z.B. portale Hypertension, Ösophagusvarizenblutung, Aszites)
- Klinik der Cholestase (u.a. Ikterus, Pruritus)
Weitere Symptome
- Fettstoffwechselstörungen
- Sicca-Symptomatik
- Fettstühle
- Mangel an fettlöslichen Vitaminen (wie A, K, E, D)
- Rezidivierende Harnwegsinfekte (20%, vorrangig Frauen)
- Signifikant erhöhtes Osteoporoserisiko
Assoziation zu weiteren Autoimmunerkrankungen [1]
- Hashimoto-Thyreoiditis (ca. 20%)
- Sjögren-Syndrom (Sicca-Symptomatik!)
- Rheumatoide Arthritis (bis 5,6%)
- Systemische Sklerose (2,5%)
- Systemischer Lupus erythematodes
- Autoimmunhepatitis (1–25%)
- Primär sklerosierende Cholangitis PSC (selten)
Diagnostik
Diagnosekriterien
- Mindestens 2 der folgenden 3 Kriterien müssen erfüllt sein:
- Chronisch erhöhte Cholestaseparameter über mehr als 6 Monate
- Antimitochondriale Antikörper (AMA) bzw. PBC-spezifische antinukleäre Antikörper (ANA)
- Typische Histologie
Klinische Untersuchung
- Zeichen der Leberzirrhose, Ikterus bei zunehmendem Leberumbau
- Palpatorisch ggf. Veränderung der Leber (vergrößert/wellig/höckrig)
Labor
- Cholestaseparameter: Alkalische Phosphatase (AP)↑, ggf. γGT↑ und Bilirubin↑
- Transaminasen: Fakultativ geringe Erhöhung der AST bzw. der ALT
- Autoantikörper
- AMA-M2 (antimitochondriale Antikörper): Bei 90% der PBC-Patienten
- PBC-spezifische ANA (antinukleäre Antikörper): Autoantikörper gegen ‚nuclear dots‘ (sp100), Kernmembran (gp210) als ANA-Test auf HEp2-Zellen
- Immunglobulin M (quantitativ) ↑
- Marker der zunehmenden Leberinsuffizienz: Bei fortschreitendem zirrhotischen Umbau Lebersyntheseparameter↓ (z.B. Quick-Wert, Albumin), Bilirubin ↑
- FIB-4-Score: Zum Ausschluss einer fortgeschrittenen Leberfibrose
Sind sowohl AMA als auch PBC-spezifische ANA negativ, wird die Diagnose über die erhöhte alkalische Phosphatase und typische histologische Veränderungen gestellt!
Sonografie Abdomen
- Indikation: Bei jedem Verdacht auf PBC als Routinediagnostik
- Fragestellung
- Detektion eines etwaigen Leberparenchymumbaus
- Ausschluss anderer Ursachen der Leberschädigung (bspw. Gallenwegserweiterung, Tumoren oder Gefäßthrombosen)
- Befunde
- Spezifische Zeichen der PBC bestehen nicht
- Häufig abdominelle Lymphknotenvergrößerung (87–97%)
- Im Frühstadium häufig sonografische Befunde der Steatosis hepatis
- Im Spätstadium sonografische Zeichen der Zirrhose
Leberhistologie
- Indikation: Zur Diagnosestellung nicht obligatorisch, aber in folgenden Fällen empfohlen
- Bei unklarer Diagnose
- Bei Verdacht auf zusätzliche Lebererkrankung (z.B. toxische Hepatitis)
- Zum Ausschluss Overlap-Erkrankung Autoimmunhepatitis
- Bei sehr jungen Patienten
- Bei fehlendem oder unzureichendem Therapieansprechen auf Ursodesoxycholsäure nach 6–12 Monaten Therapiezeit
Leber-Elastografie
- Indikation: Fibrosegradbestimmung bei Erstdiagnose und in Verlaufskontrollen
- Nach Möglichkeit bei Diagnosestellung
- Nach Möglichkeit wiederholt zur Verlaufsbeurteilung
Pathologie
Histologische Kriterien der PBC
- Cholangitis
- Floride Gallengangsläsionen
- Ggf. periduktale Anlagerung von Lymphozyten und mononukleären Zellen
- Ggf. periinflammatorisches Ödem mit Kompression der portalen Venolen
Stadieneinteilung
- Stadium I (portales Stadium): Portale Hepatitis, floride Gallengangsdestruktion, nur geringe entzündliche Veränderungen im Leberläppchen
- Stadium II (periportales Stadium): Periportale Hepatitis, floride Gangdestruktion, Gallengangsproliferation, Mottenfraßnekrosen, Granulome, geringe Veränderungen im Läppchen
- Stadium III (septales Stadium): Brückenfibrose, Veränderungen wie in Stadium II, zusätzlich Duktopenie, Cholestase, Galletröpfchen in den Hepatozyten
- Stadium IV (zirrhotisches Stadium): Bild wie im Stadium III, zusätzlich Zirrhose, noduläre Regeneration, Umbau der Gefäßarchitektur, Gallengänge fehlen, Cholestase
Therapie
Medikamentös
Erstlinientherapie
- Substanz: Ursodeoxycholsäure
- Indikation: PBC in jedem Krankheitsstadium
- Wirkung
- Physiologische, hydrophile Gallensäure: Antientzündlich, antifibrotisch, zytoprotektiv
- Reduktion/Normalisierung von Laborparametern
- Verzögerung der histologischen Progression
- Signifikante Verbesserung des transplantationsfreien Überlebens
- Nebenwirkungen: I.d.R. sehr gut verträglich, gelegentlich erhöhte Stuhlfrequenz
- Therapiereevaluation
- Zeitpunkt: Spätestens 12 Monate nach Therapiebeginn
- Parameter: Alkalische Phosphatase, AST, Bilirubin
- Bei unzureichendem Ansprechen: Indikation für Zweitlinientherapie prüfen und Betroffene in ein auf autoimmune Lebererkrankungen spezialisiertes Zentrum überweisen
Die Standardtherapie der PBC ist eine lebenslange Gabe von Ursodeoxycholsäure!
Zweitlinientherapie
- Substanzen: PPAR-Agonisten
- Elafibranor
- Seladelpar
- Bezafibrat (Off-Label Use)
- Nicht mehr zugelassen: Obeticholsäure
- Indikation
- Unzureichendes laborchemisches Ansprechen auf UDCA-Monotherapie
- Hohes Risiko für eine Krankheitsprogression
- Wirkung
- Modulation des Gallensäurestoffwechsels mit verringerter Gallentoxizität, verbesserter Cholestase, antientzündlichen Effekten
- Reduktion/Normalisierung von Laborparametern
- Nebenwirkungen: I.d.R. gut verträglich, selten Myotoxizität
- Wichtige Kontraindikationen
- Dekompensierte Leberzirrhose
- Hochgradig eingeschränkte Nierenfunktion
- Therapieschema
- UDCA + Zweitliniensubstanz oder
- Monotherapie mit Elafibranor oder Seladelpar
Alle medikamentösen Therapieansätze der PBC sind symptomatisch – eine kausale Therapie gibt es bisher nicht!
Bei unzureichendem Ansprechen auf eine Therapie mit UDCA und/oder bereits fortgeschrittener Lebererkrankung sollte eine Vorstellung in einem auf autoimmune Lebererkrankungen spezialisierten Zentrum erfolgen!
Operativ[3]
- Methode: Lebertransplantation
- Indikation: Unzureichendes Ansprechen auf medikamentöse Therapie und fortgeschrittene Lebererkrankung
- Prognose
- Gutes Langzeitüberleben nach Transplantation
- Rekurrenz im Transplantat von bis zu 40% innerhalb von 10 Jahren
Die Lebertransplantation ist die einzige kurative Therapieoption bei dekompensierter Leberzirrhose infolge einer PBC!
Therapiemonitoring und Verlaufskontrollen
- Verschiedene Kriterien für Therapieansprechen auf UDCA
- Barcelona-Kriterien: Normalisierung oder Abfall der AP um mindestens 40% nach einem Jahr Therapie
- Rotterdam-Kriterien: Normalisierung von Albumin und Bilirubin
- Paris-II-Kriterien: Abfall von AP und AST auf Werte kleiner 1,5-fach des oberen Normwertes bei gleichzeitigem Abfall des Bilirubins unter 1,0 mg/dL
- Kontrollintervalle
- Individualisierte Kontrollintervalle je nach Klinik und Paraklinik
- Engmaschige Kontrolle von Patienten mit Symptomen wie Fatigue oder Juckreiz, da erhöhtes Risiko für einen Progress der Erkrankung besteht
- Im 1. Jahr nach Therapieeinleitung mind. im Abstand von 3, 6 und 12 Monaten Kontrolle der Klinik und Paraklinik
- Verlaufskontrolle der AMA außerhalb von klinischen Studien nicht notwendig
- Elastografie: Messung der Leberelastizität alle 1–2 Jahre
- Sonografie: Regelmäßige sonografische Kontrolle nach Zeichen der Leberzirrhose
Management extrahepatischer Manifestationen
Arthralgie
- Bei begleitenden entzündlichen Gelenkbeschwerden: Einmaliges Screening auf Rheumafaktoren (IgM und IgA) sowie Anti-CCP-Antikörper (IgG) als serologische Marker der rheumatoiden Arthritis
Osteoporose
- Erhöhtes Osteoporoserisiko bei PBC: Bei Diagnosestellung Indikation zur Osteodensitometrie (DXA)
- Prophylaxe: Bei fehlender Kontraindikation primärprophylaktisch 25-OH-Cholecalciferol (= 25-OH-Vitamin D3) und Calcium
- Therapie: Bei manifester Osteoporose
- Bei PBC und einem T-Wert <-2,5 in der DXA: Nach Ausschluss von Kontraindikationen Bisphosphonattherapie
Hyperlipidämie
- Behandlungsindikation: Vorliegen von Risikofaktoren , ggf. Primärprophylaxe für kardiovaskuläre Erkrankungen entsprechend der Allgemeinbevölkerung
- Siehe auch: Grundlagen der koronaren Herzkrankheit
Cholestatischer Pruritus [2][4]
- Häufigkeit: In bis zu 70% der Fälle
- Pathophysiologie: Unklar, vermutlich Reizung peripherer Nervenendigungen durch Gallensäureretention
- Diagnostik: Gründliche Anamnese und klinische Untersuchung zur Differenzierung gegenüber Pruritus anderer Genese (siehe: Diagnostik bei Pruritus)
Therapie des cholestatischen Pruritus
- Medikamentöse Therapie
- 1. Wahl: Colestyramin oder Bezafibrat (Off-Label Use) [5]
- 2. Wahl: Rifampicin (Off-Label Use)
- 3. Wahl (alle Off-Label Use)
- Gabapentin oder Pregabalin
- Naltrexon oder Naloxon
- Sertralin
- Interventionelle Maßnahmen: UVB-Fototherapie, extrakorporale Albumindialyse, Plasmapherese, Anlage einer hepatobiliären Sonde
- Ultima Ratio: Lebertransplantation
Unter Rifampicin kann es zu Hepatotoxizität und relevanten Medikamenteninteraktionen kommen!
Fatigue
- Diagnostik: Gründliche Anamnese und klinische Untersuchung zum Ausschluss von Differenzialdiagnosen (z.B. hepatische Enzephalopathie, medikamentös induzierte Müdigkeit)
- Therapie
- Keine spezifischen Therapieansätze, ggf. psychologische Unterstützung
- Kritische Reevaluation der Medikation mit besonderem Fokus auf den Ausschluss einer Übertherapie mit Antihypertensiva
- Ausreichende Flüssigkeitszufuhr
Vorstellung von Patienten mit schwerer Fatigue in einem spezialisierten Zentrum, ggf. Therapieversuch mit Modafinil.
Sicca-Symptomatik
- Diagnostik: Zunächst Ausschlussdiagnostik bezüglich Sjögren-Syndrom und systemische Sklerose einleiten
- Konsequentes Erfragen weiterer Symptome des Sicca-Komplexes, z.B. vaginale Trockenheit bei Frauen
- Bei Xerophthalmie: Verordnung von Tränenersatzmitteln
- Bei unzureichendem Ansprechen: Zusätzlich Augentropfen mit Parasympathomimetika (z.B. Pilocarpin, Cevimelin)
- Alternativ: Augentropfen mit Linolensäure und Omega-3-Fettsäuren
- In schwersten Fällen: Absprache mit Ophthalmologen, ggf. cyclosporinhaltige Emulsion oder Verschluss des Tränenkanals erwägen
- Bei unzureichendem Ansprechen: Zusätzlich Augentropfen mit Parasympathomimetika (z.B. Pilocarpin, Cevimelin)
- Bei Xerostomie
- Regelmäßige zahnärztliche Mitbeurteilung, hohes Kariesrisiko
- Kauen zuckerfreier Kaugummis, Lutschpastillen
Fettlösliche Vitamine
- Hintergrund: Im Rahmen der Cholestase ist eine Maldigestion von Lipiden und fettlöslichen Vitaminen möglich
- Klinisches Management: Regelmäßige Evaluation bzgl. Vitaminmangel an fettlöslichen Vitaminen
- Bei eingeschränkter Gerinnung: Vitamin-K-Substitution
Prognose
- Günstiger prognostischer Parameter: Therapieansprechen auf UDCA
- Global PBC Score: Zur Prognoseabschätzung
- Ungünstige prognostische Parameter
- Unzureichendes Ansprechen auf UDCA
- Männliches Geschlecht
- Junges Alter
- Fatigue-Symptomatik oder Pruritus bei Erstdiagnose
- Antikörper gegen gp210 und Zentromere
- Zeichen eines fortgeschrittenen Parenchymschadens bei Diagnose
Das Risiko für extrahepatische Malignome ist bei PBC nicht erhöht.
Meditricks
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Primär biliäre Cholangitis (PBC)
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- K74.-: Fibrose und Zirrhose der Leber
- K74.3: Primäre biliäre Zirrhose
- Chronische nichteitrige destruktive Cholangitis
- K74.3: Primäre biliäre Zirrhose
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.