Übersicht
Initiative
Die Initiative „Klug entscheiden“ wurde 2015 von der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) ins Leben gerufen, inspiriert durch die amerikanische „Choosing Wisely“-Initiative. Ihr Ziel ist es, durch Aufklärung über Über- und Unterversorgung die medizinische Versorgung zu verbessern.
„Klug entscheiden“ fokussiert auf diagnostische und therapeutische Maßnahmen, die entweder zu häufig oder zu selten angewendet werden – obwohl sie entweder nicht nötig oder tatsächlich erforderlich wären. Ziel ist es, die Qualität der Versorgung zu steigern.
Die „Klug entscheiden“-Empfehlungen entstehen durch einen transparenten Prozess, der Vorschläge aus Fachgesellschaften sowie Konsensuskonferenzen mit Experten und Patientenvertretern umfasst. Diese Empfehlungen werden regelmäßig aktualisiert, um sicherzustellen, dass sie auf dem neuesten Stand der medizinischen Versorgung sind.
Die Empfehlungen basieren auf wissenschaftlicher Evidenz und bestehenden Leitlinien.
Weitere Schwerpunkte
- DGIM - Klug entscheiden in der Kardiologie
- DGIM - Klug entscheiden in der Infektiologie
- DGIM - Klug entscheiden in der Endokrinologie
- DGIM - Klug entscheiden in der Pneumologie
- DGIM - Klug entscheiden in der Rheumatologie
- DGIM - Klug entscheiden in der Gastroenterologie
- DGIM - Klug entscheiden in der internistischen Intensivmedizin
- DGIM - Klug entscheiden in der Nephrologie
- DGIM - Klug entscheiden in der Hämatologie und medizinischen Onkologie
- DGIM - Klug entscheiden in der Geriatrie
- DGIM - Klug entscheiden in der Palliativmedizin
Positiv-Empfehlungen
Wells-Score bei Verdacht auf tiefe Beinvenenthrombose
Bei Verdacht auf tiefe Beinvenenthrombose soll bei ambulanten Patienten vor weiteren Maßnahmen basierend auf Anamnese und körperlicher Untersuchung eine Einschätzung der klinischen Wahrscheinlichkeit erfolgen. Hierzu eignet sich insbesondere der weit verbreitete Wells-Score. Abhängig von der klinischen Wahrscheinlichkeit soll die Akuttherapie wie auch der weitere diagnostische Prozess erfolgen.
- Für die Diagnostik und Akuttherapie einer tiefen Beinvenenthrombose bei ambulanten Patienten spielt die Einschätzung der klinischen Wahrscheinlichkeit eine zentrale Rolle.
- Diese kann mittels formalisierter Scores bestimmt werden, die den Informationen aus Anamnese und klinischer Untersuchung entsprechende Punktwerte zuweisen, deren Summe den Wahrscheinlichkeitsgrad des Vorliegens einer Thrombose anzeigt.
- Ein gut validierter, im Alltag handhabbarer und daher auch weitverbreiteter formalisierter Score zur Einschätzung der Vortestwahrscheinlichkeit einer tiefen Beinvenenthrombose ist der Zweistufen-Score nach Wells (1).
- In den entsprechenden Validierungskohorten betrug die Prävalenz der tiefen Beinvenenthrombose 6 % bei niedriger und 28 % bei hoher klinischer Wahrscheinlichkeit (1).
- Im Falle einer niedrigen klinischen Wahrscheinlichkeit nach Wells kann bereits bei unauffälligen D-Dimer eine tiefe Beinvenenthrombose ausgeschlossen werden (1 - 2).
- Der Nachweis erhöhter D-Dimer-Werte bei niedriger klinischer Wahrscheinlichkeit ist nicht mit dem Nachweis einer tiefen Beinvenenthrombose gleichzusetzen, erfordert jedoch eine weitere Abklärung mittels Kompressionsultraschall.
- Bei hohem Wells-Score dagegen ist eine Bestimmung von D-Dimeren unnötig. Hier sollte stattdessen eine weitere Bildgebung mittels Kompressionsultraschall erfolgen.
- Sollte dieser nicht eindeutig sein oder nicht zur Verfügung stehen, kann eine Antikoagulation bis zur Komplettierung der Diagnostik sinnvoll sein (2).
- Vom im Folgenden aufgeführten Wells-Score zur Einschätzung der klinischen Wahrscheinlichkeit einer tiefen Beinvenenthrombose zu unterscheiden ist der Wells-Score zur Abschätzung des Vorliegens einer Lungenembolie (siehe Empfehlung zur Lungenembolie).
1. Wells PS, Anderson DR, Rodger M, et al.: Evaluation of D-dimer in the diagnosis of suspected deep-vein thrombosis. N Engl J Med 2003; 349 (13): 1227–35.
2. AWMF, Deutsche Gesellschaft für Angiologie – Gesellschaft für Gefäßmedizin: S2-Leitlinie: Diagnostik und Therapie der Venenthrombose und der Lungenembolie. AWMF Leitlininien-Register Nr. 065/002. https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/065-002l_S2k_VTE_2016-01.pdf (last accessed on 8 April 2019)
FKDS bei Veränderungen der Arteria carotis
Die Bestimmung des Stenosegrades bei Veränderungen der Arteria carotis soll mit der farbkodierten Duplex-Sonographie (FKDS) erfolgen.
- Die farbkodierte Duplex-Sonographie ist die wichtigste apparative Untersuchungsmethode zur Erfassung und Graduierung einer Carotisstenose und wird in der Stufendiagnostik den Leitlinien entsprechend als primäres bildgebendes Verfahren unter Anwendung der aktuellen DEGUM-Kriterien angewandt.
- Kontrastmittelverstärkte MR-Angiographie (MRA) und CT-Angiographie (CTA) bleiben in der Exaktheit der Stenosegradbestimmung hinter der FKDS zurück und kommen lediglich ergänzend zum Einsatz, wenn eine Intervention geplant ist.
- Eine diagnostische selektive Angiographie (DSA) ist heute nur noch ausnahmsweise indiziert. (1–4)
1. Brott TG, Halperin JL, Abbara S, Bacharach JM, et al.: 2011 ASA/ACCF/AHA/ AANN/AANS/ACR/ASNR/CNS/SAIP/SCAI/ SIR/SNIS/SVM/SVS guideline on the management of patients with extracranial carotid and vertebral artery disease: executive summary. Circulation 2011; 124:489–532./Catheter Cardiovasc Interv 2013; 81: E76–123.
2. Paraskevas KI, Mikhailidis DP, Veith FJ: Comparison of the five 2011 guidelines for the treatment of carotid stenosis. J Vasc Surg 2012; 55: 1504–8.
3. Arning C, Widder B, von Reutern GM, Stiegler H, Görtler M: Ultraschallkriterien zur Graduierung von Stenosen der A. carotis interna – Revision der DEGUMKriterien und Transfer in NASCET-Stenosierungsgrade. Ultraschall in Med 2010; 31: 251–7.
4. NASCET measurement: S3-Leitlinie zur Diagnostik, Therapie und Nachsorge der extracraniellen Carotisstenose, AWMFRegister Nr.004/028). Ultraschall Med 2010; 31: 251–7.
Screening für Bauchaortenaneurysma
Bei Vorliegen von kardiovaskulären Risikofaktoren soll ab 65 Jahren ein Screening auf Bauchaortenaneurysma mittels Ultraschall erfolgen.
- Abdominelle Aortenaneurysmen (AAA) sind definiert als fokale Erweiterung der Aorta ab 3 cm im transversalen Durchmesser oder als sprunghafte Verdopplung des Durchmessers.
- Das Rupturrisiko der meist asymptomatisch wachsenden Aneurysmen steigt ab einem Durchmesser von 5,5 cm (Mann) bzw. 5,0 cm (Frau), weswegen ab dieser Größe zur elektiven Ausschaltung der AAA geraten wird.
- Da AAA bei Frauen selten vorkommen, wurde Männern ab dem 65. Lebensjahr seit 2017 einmalig ein Ultraschall-Screening auf ein Bauchaortenaneurysma zugestanden (1). Leitlinien zufolge sollen aber auch Frauen ab dem 65. Lebensjahr mit einer jetzigen oder früheren Raucheranamnese gescreent werden, ebenso erstgradig Verwandte von Patienten mit AAA ab dem 50. Lebensjahr, und Patienten mit anderen Aneurysma-Lokalisationen oder angeborenenen Bindegewebserkrankungen wie Marfan- oder Ehlers-Danlos-Syndrom (2).
- Wurde ein AAA diagnostiziert, soll bei einem Durchmesser von 3-4 cm aller 2 Jahre kontrolliert werden, bei einem Durchmesser von 4-5 cm jährlich und bei 5-5,5 cm Durchmesser halbjährlich.
- Die Darstellung des AAA erfolgt im B-Bild vom Zwerchfell bis zur Aortenbifurkation im Längs- und Querschnitt. Die Bestimmung des maximalen Durchmessers erfolgt orthogonal in anterior-posteriorer und transversaler Achse nach der LELE-Methode (leading edge-to-leading edge; Gefäßaußenwandreflex zu Innenwandreflex). Orthogonal bedeutet senkrecht zur Gefäßachse gemessen und vermeidet falsch zu hoch bestimmte Durchmesser infolge einer Abweichung der Aorta zur Seite oder nach vorn. Pulsatile Durchmesserschwankungen (bis zu 5 mm) sollen beachtet werden. Einer standardisierten sorgfältigen Messung kommt hohe Bedeutung zu, da der Durchmesser gegenwärtig das einzige prädiktive Rupturkriterium darstellt und beim Überschreiten der Grenzwerte die Indikation zur offenen oder endovaskulären Intervention nach sich zieht.
- Betroffene sollen sorgfältig über den natürlichen Verlauf, Aneurysma-assoziierte Risiken und auch potentielle Komplikationen der Operation bzw. EVAR-Versorgung aufgeklärt werden. Seit 2024 besteht Anrecht auf eine Zweitmeinung vor elektiver Aneurysma-Ausschaltung (3).
- In den letzten Jahren zeigte sich ein starker Rückgang der AAA-Prävalenz, der überwiegend auf einen drastischen Rauchverzicht zurückgeführt wird.
- Eine Screening-bedingte Reduktion der Mortalität konnte in Metaanalysen bislang nicht belegt werden, weswegen der Nutzen des AAA-Screenings neu bewertet werden soll (4).
- Unterschätzt wird, dass kleinere Aneurysmen (3-5cm) eine hohe kardiovaskuläre Mortalität von 40% zeigen (vgl. Rupturrisiko 2%), was Anlass zum kardiovaskulären Risikofaktorenmanagement sein muss, v.a. Blutdruckeinstellung, Rauchverzicht (5 - 6).
1. GBA-Richtlinie zum Bauchaortenscreening vom 27.02.2017
2. S3-Leitlinie Abdominelles Aortenaneurysma AWMF-Registernummer: 004-14 Stand: 07.07.2018
3. GBA-Beschluss zum Zweitmeinungsverfahren bei Eingriffen an Aortenaneurysmen vom 21.12.2023, Inkrafttreten 01.10.2024
4. Johansson M, Zahl PH, Siersma Vet al. Benefits and harms of screening men for abdominal aortic aneurysm in Sweden: a registry-based cohort study. Lancet 2018; 391: 2441–47
5. Ashton HA, Buxton MJ, Day NE et al (2002) The Multicentre Aneurysm Screening Study (MASS) into the effect of abdominal aortic aneurysm screening on mortality in men: a randomised controlled trial. Lancet 360:1531–1539
6. Tomee SM, Bulder RMA, Meijer CA et al. Excess Mortality for Abdominal Aortic Aneurysms and the Potential of Strict Implementation of Cardiovascular Risk Management: A Multifaceted Study Integrating Meta-Analysis, National Registry, and PHAST and TEDY Trial Data. Eur J Vasc Endovasc Surg. 2023 Mar;65(3):348-357. doi: 10.1016/j.ejvs.2022.11.019.
Gehtraining bei pAVK II
Bei peripherer arterieller Verschlusskrankheit (PAVK) im klinischen Stadium II n. F. („Schaufensterkrankheit“) soll, wenn immer möglich, ein strukturiertes Gehtraining durchgeführt werden.
- Das strukturierte Gehtraining ist die wichtigste nichtmedikamentöse Therapie in Kombination mit einer konsequenten Behandlung der kardiovaskulären Risikofaktoren (1).
- Das Gehtraining soll mindestens 3-6 Monate 3x wöchentlich 30-60min. durchgeführt werden, idealerweise unter Anleitung in einer Gefäßsportgruppe oder häuslich mit individuellen Zielvorgaben und unter Berücksichtigung von Komorbiditäten.
- Auch alternative Trainingsvarianten sind wirksam, z.B. Oberarm-Ergometertraining, Radfahren, Krafttraining der unteren Extremitäten oder Nordic Walking (2).
- Ein Selbstmonitoring durch Schrittzähler und Motivation durch Fitness-Apps sind hilfreich.
- Bei der Vielfalt der Trainingsmöglichkeiten sollten orthopädische oder neurologische Komorbiditäten kein Hinderungsgrund für die Teilnahme am Bewegungstraining sein (1).
- Der kardiale und pulmonale Funktionsstatus soll vor Beginn des Gefäßtrainings erhoben werden.
- Allein durch Gehtraining kann die schmerzfreie Gehstrecke verdoppelt und die maximale Gehstrecke verdreifacht werden, was die Lebensqualität signifikant verbessert. Trigger ist dabei das Laufen „in den Schmerz hinein“, d.h., Betroffene sollen wenige Schritte über die subjektive Schmerzgrenze hinauslaufen, pausieren und dann weitergehen.
- Auch nach invasiver Revaskularisation (Bypass-Operation, Katheterintervention) mit nachfolgender Beschwerdefreiheit soll ein Gehtraining zum Erhalt des Revaskularisationsergebnisses erfolgen (1).
- Im Vergleich zu primär invasiv behandelten pAVK-Patienten im Stadium II weisen Patienten, die primär mit Gehtraining behandelt wurden, eine niedrigere kardiovaskuläre Mortalität im 5 Jahres-follow-up auf und benötigen im Verlauf signifikant weniger invasive Eingriffe (3). Ihr Umfang soll einen vernünftigen, stadiengerechten Kompromiss zwischen Aufwand, Risiko und zu erwartendem Ergebnis bilden.
- Obwohl das Gehtraining eine kostengünstige und einfache Therapie darstellt, sind mangelnder Patientenwille, fehlendes Interesse und fehlende Motivation (bei Patienten und Behandlern), aber auch fehlende Gefäßsportgruppen die größten Hürden (4).
- Gehtraining ist verordnungsfähig als Rehasport (Formular 56).
1. www.register.awmf.org/assets/guidelines/065-003l_S3_Diagnostik-Therapie-Nach¬sorge-periphere-arterielle-Verschlusskrankheit_2024-09_1.pdf; online-Zugriff 29.03.25.
2. Jansen SC, Abaraogu UO, Lauret GJ, Fakhry F, Fokkenrood HJ, Teijink JA. Modes of exercise training for intermittent claudication. Cochrane Database Syst Rev. 2020;8(8):CD009638.
3. Shirasu T, Takagi H, Yasuhara J, Kuno T, Kent KC, Farivar BS, Tracci MC, Clouse WD. Long-Term Outcomes of Exercise Therapy Versus Revascularization in Patients With Intermittent Claudication. Ann Surg. 2023 Aug 1;278(2):172-178.
4. Harwood AE, Smith GE, Cayton T, Broadbent E, Chetter IC. A Systematic Review of the Uptake and Adherence Rates to Supervised Exercise Programs in Patients with Intermittent Claudication. Ann Vasc Surg. 2016;34:280-289.
Sekundärprophylaxe nach venöser Thromboembolie
Die Zeitdauer einer langfristigen medikamentösen Sekundärprophylaxe nach venöser Thromboembolie (VTE) soll jährlich bezüglich der VTE-Rezidiv- und Blutungsrisiken neu abgewogen werden.
- Dem Nutzen einer weitestgehenden Verhinderung erneuter thromboembolischer Ereignisse steht das kumulative Blutungsrisiko durch Antikoagulanzien entgegen.
- Eine Langzeitantikoagulation ist daher nie kategorisch indiziert, das individuelle Nutzen-Risiko-Verhältnis muss regelmäßig überprüft werden. (1–4)
1. S2-Leitlinie Diagnostik und Therapie der Venenthrombose und Lungenembolie, AWMF-Register Nr. 065/002. 13.
2. Kearon C, Akl EA, Comerota AJ, Prandoni P, Bounameaux H, Goldhaber SZ, et al.: Antithrombotic Therapy for VTE Disease. Chest. 2012; 141(2) (Suppl): e419S–94S.
3. Baglin T, Bauer K, Douketis J, Buller H, Srivastava A, Johnson G: SSC of the ISTH: Duration of anticoagulant therapy after a first episode of an unprovoked pulmonary embolus or deep vein thrombosis: guidance from the SSC of the ISTH. J Thromb Haemost 2012; 10: 698–702.
4. Konstantinides SV, Torbicki A, Agnelli G, Danchin N, Fitzmaurice D, et al.: Task Force for the Diagnosis and Management of Acute Pulmonary Embolism of the European Society of Cardiology (ESC), 2014 ESC guidelines on the diagnosis and management of acute pulmonary embolism. Eur Heart J 2014; 35: 3033–69.
Gefäßdiagnostik bei chronischen Bein-Ulzera
Vor einer komplexen Wundtherapie chronischer Bein-Ulcera soll eine vaskuläre Diagnostik (arterieller und venöser Status) erfolgen.
- 80% aller Extremitätenwunden lassen sich auf vaskuläre Ursachen zurückführen. Eine suffiziente Wundheilung kann nur mit Kenntnis und Beheben der Ursachen gelingen. Major- und Minor-Amputationen können beispielsweise durch rechtzeitiges Erkennen arterieller Durchblutungsstörungen vermieden werden.
- Zur primären Diagnostik bei chronischen Wunden gehören das Erfassen arterieller, venöser, lymphatischer und mikrozirkulatorischer Gefäßerkrankungen.
- Typische Ursachen chronischer Wundheilungsstörungen sind die periphere arterielle Verschlußkrankheit (pAVK),
- die Varikosis mit chronisch-venöser Insuffizienz,
- das postthrombotische Syndrom,
- chronische Lymphödeme und
- das diabetische Fußsyndrom mit Mikrozirkulationsstörungen (Neuropathie) und Mediasklerose/diabetischer Angiopathie.
- Die Diagnostik beginnt mit der klinischen Anamnese, körperlichen Untersuchung und der daraufhin weiter einzuleitenden Diagnostik der Grunderkrankung, die gemäß den Leitlinien-Empfehlungen der jeweiligen Fachgesellschaft erfolgen soll (arterielle, venöse und lymphatische Diagnostik) (1 - 2).
- Bei Feststellung einer Gefäßerkrankung berücksichtigt die komplexe Wundtherapie Kausalitäten der Wundheilungsstörung (Reperfusion, Kompressionstherapie, Druckentlastung) (3 - 5)
1. Leitlinie Lokaltherapie schwer heilender und/oder chronischer Wunden aufgrund von peripherer arterieller Verschlusskrankheit, Diabetes mellitus oder chronischer venöser Insuffizienz AWMF 091/001. Stand: 31.10.2023.
2. S1-Leitlinie Dermatosen bei dermaler Lymphostase AWMF-Register Nr. 013/084 Klasse: S1. Stand 7/2017
3. Kirsner RS, Vivas AC. Lower-extremity ulcers: diagnosis and management. Br J Dermatol 2015; 173: 379–90.
4. Frykberg RG, Banks J: Challenges in the Treatment of Chronic Wounds. Adv Wound Care 2015; 4: 560–82.
5. Makowski L, Engelbertz C, Köppe J, Dröge P, Ruhnke T, Günster C, Gerß J, Freisinger E, Malyar N, Reinecke H, Feld J. Contemporary Treatment and Outcome of Patients with Ischaemic Lower Limb Amputation: A Focus on Sex Differences. Eur J Vasc Endovasc Surg. 2023 Oct;66(4):550-559.
Negativ-Empfehlungen
Keine Immobilisierung bei Venenthrombose
Patienten mit einer Venenthrombose jedweder Lokalisation und Morphologie sollen nicht immobilisiert werden, es sei denn zur Linderung starker Schmerzen.
- Unter einer regelrecht durchgeführten Antikoagulation stellt die Immobilisierung bei einer bestehenden Venenthrombose kein begründbares Therapieprinzip mehr dar (1 - 2).
- Dies gilt für alle Etagenlokalisationen der Venenthrombose sowie auch für alle morphologischen Aspekte.
- In einer prospektiven multizentrischen Registerstudie konnte gezeigt werden, dass Bettruhe weder einen Einfluss auf das Auftreten einer Lungenembolie bei nachgewiesener tiefer Beinvenenthrombose hat noch die Komplikationsrate bei submassiver Lungenarterienembolie erhöht (3).
- Die symptomadaptierte Mobilisierung des Patienten mit Venenthrombose fördert dagegen durch den Einsatz der Muskelpumpen die venöse Entstauung der betroffenen Extremität und bewirkt damit eine Beschwerdelinderung.
- In kleinen, kontrollierten Studien konnte nachgewiesen werden, dass sich eine Immobilisierung ihrerseits selbst negativ auf das Abschwellen des Beins und die Beschwerden des Patienten auswirkt (1,4).
- Nur in Einzelfällen, z. B. bei einer sehr ausgeprägten schmerzhaften Beinschwellung kann eine kurzfristige Immobilisierung mit Hochlagerung des Beins erforderlich werden (2).
1. Liu Z, Tao X, Chen Y, Fan Z, and Li Y: Bed rest versus early ambulation with standard anticoagulation in the management of deep vein thrombosis: a meta-analysis. PLoS One 2015; 10: e0121388.
2. S2-Leitlinie Diagnostik und Therapie der Venenthrombose und Lungenembolie, AWMF-Register Nr. 065/002.
3. Trujillo-Santos J, Perea-Milla E, Jiménez-Puente A, et al.: RIETE Investigators bed rest or ambulation in the initial treatment of patients with acute deep vein thrombosis or pulmonary embolism: findings from the RIETE registry. Chest 2005; 127: 1631–6.
4. Kahn SR, Shrier I, Kearon C (2008): Physical activity in patients with deep venous thrombosis: a systematic review. Thromb. Res. 122: 763–73.
Kein CT oder MRT zur Primärdiagnostik der pAVK.
Zur Abklärung einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (PAVK) soll nicht primär eine Diagnostik mittels CT oder MRT durchgeführt werden.
- Zur Beurteilung der abdominellen Aorta und ihrer Äste sowie der Becken- und Beinarterien ist die farbkodierte Duplex-Sonographie (FKDS) die diagnostische Methode der ersten Wahl, auch wenn ihre Aussagekraft von der Expertise des Untersuchers, der Qualität des Ultraschallgerätes und den individuellen Gegebenheiten des Patienten abhängig ist.
- Sie ist nicht invasiv, kostengünstig, breit verfügbar, und erlaubt zuverlässig den Ausschluss wie auch den Nachweis einer Durchblutungsstörung und die Einschätzung ihrer klinischen Bedeutung im Abgleich mit den geäußerten Symptomen.
- Die Duplexsonographie ist der CT-Angiographie hinsichtlich Diagnosesicherheit und Interventionsplanung ebenbürtig, infrapopliteal sogar deutlich überlegen (1).
- Im Gegensatz zur Schnittbildgebung, die keine hämodynamischen Parameter liefert, erlaubt die Duplexsonographie auch eine Einschätzung unabhängiger Prädiktoren für Restenosen (z.B. Run-off) (2).
- Die Durchführung einer kontrastmittelgestützten Computertomografie oder Kernspintomografie in der Diagnostik von Symptomen, die auf eine PAVK hindeuten könnten, ist abgesehen von Ausnahmesituationen primär nicht indiziert (3 - 5).
1. Martinelli O, Alunno A, Jabbour J, Cuozzo S, Gattuso R. Duplex ultrasound as a reliable alternative to CT angiography for treatment planning of peripheral artery disease. Int Angiol. 2021 Aug;40(4):306-314. doi: 10.23736/S0392-9590.21.04524-7.
2. Gao M, Hua Y, Jia L, Zhao X, Liu R, Gao X, Dardik A. Pre-procedural color duplex ultrasound evaluation predicts restenosis after long-segment superficial femoral artery stenting. Vascular. 2022 Feb;30(1):52-62. doi: 10.1177/1708538121992590.
3. Leitlinien zur Diagnostik und Therapie der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (PAVK), AWMF-Register-Nr. 065/003. Algorithmus zur Diagnostik der PAVK (Empfehlungsgrad A, Evidenzklasse 1).
4. Cao P, Eckstein HH, De Rango P et al.: Critical limb ischemia. Chapter II: Diagnostic Methods. European Journal of Vascular and Endovascular Surgery 2011; 42: S13–S32.
5. Chan D, Anderson ME, Dolmatch BL: Imaging evaluation of lower extremity infrainguinal disease: role of the noninvasive vascular laboratory, computed tomography angiography, and magnetic resonance angiography. Tech Vasc Interv Radiol 2010; 13: 11–22.
Invasive Behandlung bei Varikose
Eine asymptomatische Varikosis bedarf nicht zwingend einer invasiven Behandlung
- Das Ziel der Behandlung einer symptomatischen Varikosis ist
- die Besserung oder Beseitigung von Ödemen und Stauungsbeschwerden (Schwere, Spannungsgefühl, Schmerzen),
- die Prävention und Therapie venöser Ulzera und trophischer Störungen sowie
- die Vermeidung von Komplikationen wie oberflächlichen Venenthrombosen, Leitveneninsuffizienz, arthrogenem Stauungssyndrom oder Varizenblutungen.
- Grundsätzlich ist in jedem Stadium der Erkrankung eine konservative Therapie möglich und sinnvoll.
- Diese umfasst je nach Befund eine Kompressionstherapie mit medizinischen Strümpfen oder Verbänden und physikalische Entstauungsmaßnahmen
- sowie auch Balneotherapie und Gefäßsport.
- Die Entscheidung zu einer invasiven Therapie ist nach der Schwere der Erkrankung, gegenwärtigen oder drohenden Komplikationen und in Absprache mit den Wünschen des Patienten zu treffen. Dies gilt insbesondere bei Abwesenheit klinischer Symptome. Eine etwaige kosmetische Indikation ist von dieser Empfehlung unberührt (1 - 4).
1. S2k-Leitlinie Diagnostik und Therapie der Varikose. AWMF-Register Nr. 037/018 Klasse: S2k. Stand 3/2019.
2. Eberhardt RT, Raffetto JD: Chronic venous insufficiency. Circulation 2014; 130: 333–46.
3. Gloviczki P, Gloviczki ML: Guidelines for the management of varicose veins. Phlebology 2012; 27 Suppl 1: 2–9.
4. Marsden G, Perry M, Kelley K, et al.: Guideline Development Group.Diagnosis and management of varicose veins in the legs: summary of NICE guidance. BMJ 2013; 347: f4279.
(Keine invasive) Revaskularisation bei asymptomatischer peripherer arterieller Verschlusskrankheit (pAVK)
Bei asymptomatischer peripherer arterieller Verschlusskrankheit (PAVK) soll eine prophylaktische Gefäßrekonstruktion nicht erfolgen.
- Invasive Revaskularisationen bei PAVK dienen der Behandlung klinischer Symptome. Sie lösen nicht das Grundproblem der progressiven chronischen Arteriosklerose.
- Es gibt bislang keine ausreichende Evidenz, dass eine prophylaktische interventionelle Behandlung bei asymptomatischen Betroffenen den Krankheitsverlauf, den Extremitätenerhalt oder das Überleben positiv beeinflusst (1).
- Wie bei jeder atherosklerotischen Erkrankung ist hingegen das Risikofaktorenmanagement Basistherapie und umfasst Rauchverzicht, Blutdruck-, Diabetes-, Lipidstatusoptimierung und körperliche Aktivität/ Bewegung.
- Cave: Eine asymptomatische pAVK ist von einer maskierten pAVK zu unterscheiden.
- Das Leitsymptom „Claudicatio intermittens“ kann durch Komorbiditäten maskiert sein, die den typischen belastungsabhängigen Ischämieschmerz trotz schwerer pAVK gar nicht erst entstehen lassen, z.B. Belastungsdyspnoe, Cox-/Gonarthrose, Polyneuropathie.
- Diese Hochrisiko-Patienten sollen regelmäßig aktiv auf Wunden und Ruheschmerzen als Zeichen einer chronischen Extremitäten-bedrohenden Ischämie (CLTI) untersucht und zeitnah revaskularisiert werden (1 - 2).
1. www.register.awmf.org/assets/guidelines/065-003l_S3_Diagnostik-Therapie-Nachsorge-periphere-arterielle-Verschlusskrankheit_2024-09_1.pdf; online-Zugriff 29.03.25.
2. Gornik HL, Aronow HD, Goodney PP et al. ACC/AHA/AACVPR/APMA/ABC/SCAI/SVM/SVN/SVS/SIR/VESS Guideline for the Management of Lower Extremity Peripheral Artery Disease: A Report of the American College of Cardiology/American Heart Association Joint Committee on Clinical Practice Guidelines. Circulation. 2024 Jun 11;149(24):e1313-e1410.
Indikation zur oralen Antikoagulation
Bei alleinigem Nachweis eines heterozygoten Faktor-V-Leiden oder Prothrombin-Polymorphismus soll eine dauerhafte medikamentöse Sekundärprophylaxe nach venöser Thromboembolie (VTE) nicht erfolgen.
- Insbesondere die häufigen genetischen Varianten, der heterozygote Faktor-V-Leiden-Defekt oder die heterozygote Prothrombin-20210-Mutation sind nicht oder nur mit einer gering erhöhten Rezidivrate mit einer venösen Thromboembolie verknüpft.
- Ihr Vorliegen beeinflusst daher nicht die Entscheidung über die Dauer der Antikoagulation in der Sekundärprophylaxe der VTE. (1–2)
1. S2-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der Venenthrombose und Lungenembolie, AWMF-Register-Nr. 065/002.
2. Reitter-Pfoertner S, Waldhoer T, Mayerhofer M, et al.: The influence of thrombophilia on the long-term survival of patients with a history of venous thromboembolism. Thromb Haemost 2013; 109: 79–84.
Keine zusätzliche Thrombozytenfunktionshemmung wegen PAVK bei oraler Antikoagulation
Bei Indikation zur oralen Antikoagulation soll wegen einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (PAVK) eine zusätzliche Thrombozytenfunktionshemmung nicht erfolgen.
- Es gibt keine Evidenz, dass eine langfristige antiaggregatorische Therapie mit ASS oder Clopidogrel allein oder in Kombination zusätzlich zu einer notwendigen Antikoagulation bei Patienten mit peripheren atherosklerotischen Gefäßkrankheiten (periphere Arterien, Carotis, Nierenarterien, Viszeralarterien) für die betroffenen Patienten einen Nutzen bringt.
- Bei bestehender Indikation zur langfristigen oralen Antikoagulation ist daher allein aufgrund des Vorliegens einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (PAVK) – außerhalb von Intervallen mit Implantation von Gefäßstützen (Stents) oder Gefäßprothesen – unter Beachtung der erhöhten Blutungsrisiken keine zusätzliche Thrombozytenfunktionshemmung notwendig. (1–4)
1. Kröger K, Böhner H. Was tun, wenn Leitlinien sich widersprechen? Perspektiven der Kardiologie – Deutsches Ärzteblatt 2014; 111(15): 26–9.
2. Hansen ML, Sorensen R, Clausen MT, Fog-Petersen ML, Raunso J, et al.: Risk of bleeding with single, dual, or triple therapy with warfarin, aspirin, and clopidogrel in patients with atrial fibrillation. Arch Intern Med 2010; 170: 1433–41.
3. Warfarin Antiplatelet Vascular Evaluation Trial Investigators, Anand S, Yusuf S, Xie C, Pogue J, Eikelboom J, Budaj A, Sussex B, Liu L, Guzman R, Cina C, Crowell R, Keltai M, Gosselin G: Oral anticoagulant and antiplatelet therapy and peripheral arterial disease. N Engl J Med 2007; 357: 217–27.
4. Camm AJ, Kirchhof P, Lip GYH, Schotten U, Savelieva I, et al.: Guidelines for the management of atrial Fibrillation. European Heart Journal 2010; 31: 2369–429.